Technische Daten:
erschienen am:
10 Seite, 4c, DIN A5, Leporello
November 2017
Analoge, schöne, provinzielle Welt – Fernsehgrafiken aus der DDR
Sonntag, 28. Februar 1975, 12 Uhr: In der ARD empfängt Werner Höfer zum Internationalen Frühschoppen, im ZDF moderiert Elfi von Kalkreuth „Das Sonntagskonzert“. In den Adlershofer Studios geht „Von Sonntag zu Sonntag“ auf DDR 1 auf Sendung.
Hauptdarsteller dieser Sendung sind Episkopien – tablettgroße Papptafeln, bunt bemalt, gezeichnet oder mit Fotos beklebt – und heute allesamt fast vergessen.
Ein schöner Fund auf der Mosaik-Börse 2013 in Wolfen und zwei kleine Ausstellungskataloge brachten mich auf die Idee diesen längst vergessenen Altagsgrafiken etwas auf die Spur zu kommen.
Sie sind nicht für langes und genaues Betrachten gemacht – es sind kurze geistreiche Bemerkungen, Gedankenblitze und Späße. Was nicht in Sekundenschnelle beim Zuschauer ankommt, ist
unwiderruflich dahin – die Sendung beginnt, die Ankündigungsgrafik ist vergessen und wahrscheinlich wird man sie nie wiedersehen. Wie zum Beispiel die Giraffe, die Kopf steht – wohl wegen der
Bildstörung, die sie zu kaschieren versucht. Die zwei rosa Wölkchen neben
ihrem langen Hals täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass das Programm unterbrochen ist. Trotzdem: die farbenfrohe Grafik ist allemal schöner als das Testbild mit seinem grässlichen Piepton.
Das Stück Käse, das auf einer anderen Grafik abgebildet ist, liegt in einer Mausefalle. Darüber verkündet eine Sprechblase: „Die nächste Folge in einer Woche“. Knapper, pointierter und treffender
ist auch die Aufgabe dieser Bildschirmgrafiken nicht zu beschreiben. Die handgearbeiteten „Episkopien“ oder „Standbilder zur Ankündigung von Sendungen“ wurden für kurze Augenblicke vor die
Fernsehkamera gehalten, um für nachfolgende Sendungen zu werben. Etwa 3 500 Episkopien lagern heute im Deutschen Rundfunkarchiv in Potsdam-Babelsberg.
Hintergründig phantasievoll, sensibel, geistreich, heiter-ironisch, burlesk oder pikant schufen nahezu 50 Grafiker, Fotografiker, Szenografen und Karikaturisten des Verbandes Bildender Künstler
jährlich 1 500 künstlerische Arbeiten für beide DDR-Fernsehprogramme. Künstler wie Erhard und Roswitha Grüttner, Heinz Handschick, Wolf-Dieter Pfennig oder Volker Pfüller, aber auch eine zweite
Generation, zu der unter anderem die Berliner Designer Dominique und Kitty Kahane zählen, haben sich „mit den Pappen schnell 200 bis 300 DDR-Mark“
verdient.
Selten vergingen mehr als drei, vier Tage zwischen Auftrag und Lieferung. Volker Pfüller, der viele
Fernsehgrafiken gemacht hat, nannte das einmal eine „so rechte, ideale, gebrauchsgrafische Aufgabe. Kurzer Termin, keine Entwurfsvorlage und Skizzenbesprechung, ein kluger Auftraggeber.“
Entscheidend sei der glückliche Einfall. „Zeit zum Grübeln blieb nicht“, sagt Wolf-Dieter Pfennig, heute Professor an der Hochschule Wismar. Nur mit einer Inhaltsangabe, einer Bewertung des
Filmes oder der Sendung und manchmal mit Fotos entstanden Grafiken, die „schlicht, handwerklich einfach und gekonnt leise“ daherkamen, erklärt Patricia Vester, die die Idee zu der Ausstellung im
Potsdamer Filmmuseum hatte.
Fast keine Sendung wurde „unverpackt“ – also ohne Werbegrafik – angekündigt. Zehn bis 15
davon waren täglich auf dem Bildschirm zu sehen. Seit Beginn der 1950er-Jahre entwickelte sich in
der DDR neben der Werbegrafik für Kinofilme in Form von Filmplakaten auch diese Form der
Werbegrafik für das Fernsehen. Eine eigene Abteilung für Grafik im Fernsehen war für „statische
und kinetische Fernsehgrafik“, also Abspänne, Infotafeln, Standardgrafiken, sogar das Erscheinungsbild von TV DDR 1 und TV DDR 2 oder Statistiken für Sportsendungen
zuständig.
Heute übernehmen leistungsfähige Software-Anwendungen die immer trickreichere, schnellere und meist dreidimensionale Generierung und Ansteuerung von Grafiklayouts. Sportsendungen kommen z. B.
ohne tvVIS, ein virtuelles Informationssystem, nicht mehr aus. Die Software erlaubt die Einblendung zusätzlicher Informationen in Live-Bilder. Damit können zum einen Werbepartner bedient werden,
Anzeige zum anderen wird tvVIS als Service für die Zuschauer an
den TV-Geräten genutzt, um beispielsweise Freistoßentfernungen im Fußball oder Vergleichsweiten in der Leichtathletik einzublenden. Mit digitalen Video-Effekten, sogenannten Jumbotrons, werden
zudem Pausen mit 3-D-Animationen überbrückt. Die Papptafel der Gegenwart ist das Tabula-Track der Berliner Firma netventure, eine erstmals bei der Tour de France 2008 eingesetzte kabellose,
digitale Tafel, auf der Einspieler und Analysen ausgestrahlt werden. /1/
In mehreren Ausstellungen, die letzte 2010 im Potsdamer Filmmuseum, wurden diese Fernsegrafiken recht erfolgreich den kunstinteressierten Publikum gezeigt. Mindestens zwei weitere, eine 1985 und
1990 gab es noch zu diesem Thema in Berlin.
Unter diesem Text ist das angesprochene Original von Erich Schmitt zu einer Fernsehsendung
mit dem Namen „Der fröhliche Landmann“, gezeichnet 1983, zu sehen. Diese Zeichnung erwarb ich auf der Mosaik-Börse Wolfen im Jahre 2013. Die einige Zeit zuvor erworbenen Kataloge zeigte
ich meinen Freund Guido und kurze Zeit später meinte er: „Da hinten gibt es ein Händler der hat
sowas“. Das es dazu noch ein Original von Erich Schmitt war freut mich umso mehr. Erich Schmitt
wahr wohl neben Werner Klemke, Manfred Bofinger, Cleo Petra Kurze und Rainer Schade die bekanntesten DDR-Grafiker die auch diese kurzlebigen Gebrauchsgrafiken für das Fernsehen der DDR
anfertigten.
Quellenangabe:
/1/ Adlershof Journal März/April 2011, Rico Bigelmann: „Analoge, schöne, provinzielle Welt“, S. 4 – 5
Der fröhliche Landmann, Original-Fernsehgrafik, 1983 (Erich Schmitt)